Rotes Meer

11. Reisebericht, März – April 2006

2000 Meilen nordwärts durch das Rote Meer

Ein zu kurzer Stopp in Eritrea
Im Hafen von Massawa sieht es aus, als hätte eben erst Krieg stattgefunden! Zerbombte Häuser und rostige Wracks säumen die Hafeneinfahrt. Wie ein Monument steht die Ruine des Palastes von Haile Gebralassie mitten im Hafen. Noch vor einem Jahrzehnt dauerte hier der bisher längste Krieg der afrikanischen Geschichte an! Der 30jährige, blutige Unabhängigkeitskrieg gegen Äthiopien kostete etwa 65 000 Menschen das Leben, bei einer Bevölkerung von etwa 3.7 Millionen Menschen. 1990 wurde in einer der schlimmsten Auseinandersetzungen beinahe ganz Massawa zerstört. Wir ankern im Ankerfeld in einem Seitenarm des Hafens.
Nur 48 Stunden dürfen wir in Eritrea offiziell bleiben, sonst müssten wir ein sehr teures Visa für uns fünf beantragen. Wir bedauern, dieses Land nicht zu bereisen, doch beschert uns dieser Verzicht gelassene Tage in der kleinen Hafenstadt Massawa und damit Zeit, Kaffee und Tee mit den Einwohnern zu trinken.

Unsere erste Bekanntschaft ist Mike, der schon seit Jahren Kontakt zu den Seglern pflegt und für sie alles Mögliche erledigt und organisiert. Er besitzt ein tolles Bistro im italienischen Stil und serviert Cappuccino aus seiner riesigen alten italienischen Kaffeemaschine. Hier erhalten wir Tipps und Tricks, wie wir Diesel tanken können, denn Diesel ist in Eritrea stark rationiert. Damit wir immerhin mit etwa 200 l rechnen können, beantragen wir die doppelte Quantität. Mike lässt seine Beziehungen spielen, damit die letzten Tropfen des vorhandenen Diesel sicher nicht an andere verkauft wird.
Andi begibt sich auf den „Ämter-Hürdenlauf“ und ich mache mich auf, frische Lebensmittel einzukaufen. Die von Mike beschriebenen grossen Supermärkte entpuppen sich als „Tante Emma“-Läden mit dem immer gleichen Sortiment von Konserven und vielleicht noch ein paar Kartoffeln oder Zwiebeln. Ich schlendere durch staubige Strassen, vorbei an zweirädrigen Eselskarren und mit schweren Holzbürden beladenen Kamelen. Auf einem staubigen Platz dösen etwa dreissig Kamele und erholen sich von ihrem frühmorgendlichen Marsch vom Dorf in der Wüste zur Stadt an der Küste. Ihre Rast ist kurz, schon werden die ersten Kamele wieder beladen. Der dürre Schwanz des vorderen Kameles wird an die Zügel des mageren hinteren Kameles gebunden und so trampeln sie mit bedächtig wiegenden Schritten wohl wieder nach Hause zurück. Zwei verschleierte Frauen winken mir zu und laden mich und die Kinder in ihrem hinter Mauern verborgenen Haus zum Tee in einer lustigen Frauenrunde ein. Haylat spricht gut englisch. Schon bald kichern und schwatzen wir rege. Eine alte Frau kommt vorbei, verkauft verschiedenes Gemüse, erzählt etwas, bevor sie zum nächsten Haus geht. Ein Hahn besteigt unter unserer Sitzbank ein Huhn, was aufgeregtes Flattern des Federviehs und Gekicher unsererseits auslöst.

Haylat zeigt mir Fotos von ihrer Hochzeit im letzten Jahr. Ich staune, sitzt doch vor mir eine verschleierte Frau, von der ich einzig knapp das Gesicht, Hände und Füsse sehe. Die Fotos zeigen moderne und mit luxuriösen Stoffen bekleidete Frauen und Männer, unverschleiert und sichtlich ausgelassen! „Haylat, du hast einen Mann! Warum lebst du hier bei deinen Eltern?“ „Mein Mann stammt aus Jemen und befindet sich manchmal auf Geschäftsreise. Während dieser Zeit kehre ich immer zurück in dieses Haus meiner Eltern“, erklärt sie mir.
Haylat gehört zur moslemischen Minderheit in Eritrea. Die Mehrheit der Einwohner sind orthodoxe Christen. Ich frage sie, ob sie für mich mal den Schleier abnehme. Sie lehnt schüchtern ab. Es scheint mir, dass es ihr fast ein wenig peinlich ist. Ein paar Minuten später fällt ihre Schleier „aus Versehen“ auf ihre Schultern. Das merkt sie offensichtlich nicht „sofort“ und ich darf ihre geflochtene, lange Haarpracht bewundern. Zwischen den feinen Zöpfchen leuchten grellrot gefärbte auf. Haylat fragt mich immer wieder, ob mir grün, blau oder rot besser gefalle. Ich bin mir nicht sicher, worauf ihre Frage hinzielt. Da wir von Haaren sprechen, bleibe ich mal bei rot. Sie gibt mir ein kleines Päckchen mit oranger Haarfarbe, damit ich mir auch ein paar Strähnchen färben kann! Mal sehen, warum soll ich mir auch nicht mal ein paar freche Strähnchen färben!?
Haylats Mutter lädt uns zum Essen ein. Sie kocht auf dem kleinen Petrolbrenner am Boden eine schmackhafte Tomatensauce mit Fleischstücken und Reis. Dazu gibt es den traditionellen grauen, säuerlichen Brotfladen, das uns mehr an eine graue feinlöchrige Omelette erinnert. An dieses Enjera hat sich unser Gaumen nicht gewöhnt. Wir essen mit Haylat abseits der Familie in einem schönen, aber sehr einfach eingerichteten Wohnraum auf einem der zwei hier stehenden Betten. In einer Ecke in diesem aus einfachen Brettern gezimmerten Haus liegt ein grosser, weicher Teppich, ein Fernseher steht auf einem kleinen Gestell. Ein mit Weihnachtskugeln und Glimmer geschmückter Plastik-Weihnachtsbaum dekoriert dieses von Moslems bewohnte Haus. Im Zimmer nebenan stehen zwei weitere Betten. Als Haylat die Türe öffnet, flattert aufgeschreckt ein gackerndes Huhn aus dem Zimmer. Es ist schon Nachmittag, höchste Zeit zurück ins Zentrum der Stadt zu gehen und Andi Bescheid zu geben, dass wir alle wohlauf sind. Ich bitte Haylat, ihre Briefadresse für mich aufzuschreiben, damit ich ihr aus der Schweiz schreiben kann. Sie weiss nicht genau, wofür und warum ich die Adresse verwenden will. „Was ist ein Briefkasten? Wer soll mir einen Brief bringen? Was muss ich den aufschreiben? Meinen Namen? Was meinst du mit einem Strassennamen und Hausnummer?“, so stellt sie mir viele Fragen! Ich halte mit meinen Erklärungen inne und stelle meine selbstverständliche Annahme, dass man in jedes Land Menschen einen Gruss schicken kann in Frage! Hier gibt es kein Postwesen, wie wir es kennen! Zwar gibt es ein Postbüro, aber dass man jemanden Post sendet, scheint hier unbekannt zu sein!

Interessanter Museumsbesuch
Am nächsten Tag besuche ich mit den Kindern das Museum. Dachte ich erst, die riesigen Wal- und Dugongskelette seien die Hauptattraktionen für unsere Kinder, stürmen sie jedoch sofort in die Abteilung über den 30-jährigen Krieg gegen Äthiopien. Waffen aller Art und Grösse, persönliche Gegenstände der Soldaten, Fotos und Texte zeigen ein hartes, grausames Leben. Der junge Museumsleiter begleitet uns und erklärt uns viele Details zu den Ausstellungsstücken. Wie zum Beispiel, dass jeder der Freiheitskämpfer ein zusammengedrehtes Bettlaken am Gurt trägt, um sich gegen Mücken, nächtliche Kälte oder heissen Sonne zu schützen und beim Tod damit zugedeckt zu werden. Er zeigt uns von der Hitze geschmolzene Badelatschen, die die übliche Fussbekleidung in dieser steinigen, dornigen Wüste sind und erklärt uns die alten, vor allem von europäischen Armeen ausrangierten Waffen und Kanonen, die im Krieg eingesetzt wurden.
Dankbar, nicht in einem Kriegsland leben zu müssen, bestaunen wir anschliessend die noch übel riechenden Skelette von Meeressäugetieren sowie in der historischen Abteilung Gegenstände wie Möbel, Werkzeuge, Kleider und alltäglichen Gebrauchsmittel aus der Kolonialzeit und von den Beduinen. Sehr beeindruckt sind wir von dem Kopfkissen der Hirten. Damit nachts im Schlaf kein Ungeziefer in die Ohren krabbeln können, legen sie den Kopf auf eine hölzerne Kopfstütze und schlafen mit „erhobenem“ Kopf!

Wir verlängern unsere viel zu kurze Aufenthaltsbewilligung um weitere 24 Stunden. Als Grund geben wir eine nötige Reparatur am Motor an. Tatsächlich hat ein gegossenes Teil des Auspuffes ein kleines Loch, dies könnten wir bei einer eventuellen Kontrolle durchaus zeigen. Andi verschliesst das Loch so gut als möglich und bestellt das Ersatzteil in der Schweiz. Dieses wollen wir uns an einem geeigneten Ort zustellen lassen.
Eritrea ist eines der „heissesten“ Länder auf der Welt. Richtig lebendig wird diese Stadt abends. Dann öffnen all die vielen Bars und Restaurants. Die Leute strömen aus ihren alten kühlen Häusern hinaus in die Strassen. Weihrauch wird verbrandt, auf kleinen Kohlenkochern in Tontöpfen arabischer Kaffee gekocht, der mit viel Zucker getrunken auch mir als Teetrinkerin gut schmeckt. Auf dem Dorfplatz schmettern die Spieler zackig die Dominosteine auf die kleinen Holztische. Wir gucken ein wenig zu und werden prompt eingeladen, uns dazu zu setzen. Dave zeigt uns nicht nur wie man Domino spielt, sondern auch wie man alle Steine galant in einer Hand hält und den einzelnen Stein richtig laut auf den Holztisch schmettert. Das macht Spass! Er lädt uns ein, seine Schwester und ihre Freundinnen kennen zu lernen. In einem hohen und halbzerfallenen, türkischen Haus balancieren wir im Halbdunkeln die kaputte schmale Treppe hinauf. Es riecht nach Moder und Urin. Im ersten Stock treten wir aus der Dunkelheit in ein helles, sauberes, mit Girlanden reich dekoriertes Zimmer. Auf den vier Betten liegen junge Frauen und Kinder und schauen gespannt einen alten James-Bond-Film. Die jungen Mädchen sind im Rastalook aufgemacht, Bob Marley scheint hier, wie auch in Vanuatu, ein grosses Vorbild für die jungen Menschen zu sein.
In einer schmalen abgelegenen Gasse finde ich endlich einen kleinen Laden, der Tomaten, Gurken, Zwiebeln, Knoblauch und Zitronen führt, für hiesige Verhältnisse ein reiches Sortiment! Stolz ruft die Ladeninhaberin ihre 13jährige Tochter aus dem kleinen Zimmer nebenan. Senait spricht ausgezeichnet Englisch. Sie arbeitet morgens im elterlichen Geschäft und besucht nachmittags die Sekundarschule. Ich trinke wohl schon meinen dritten Kaffee heute Abend. Senait zeigt mir ihr kleines Zimmer. Es hat gerade Platz, um einzutreten und sich ins Bett zu legen. Die Wände und Decke sind farbig und übervoll dekoriert mit allerlei Weihnachtsschmuck. Am Tag unserer Abreise verabschiede ich mich von diesen netten Leuten. Ich schenke Senait unseren kleinen Plastik-Weihnachtsbaum aus Malaysia, den ich wohl auf der Muscat nicht mehr brauchen werde. Ich bin gerührt, als mir das Mädchen ein tönernes Kaffeekrüglein mit winzigen Tässchen und einen kleinen Weihrauchbrenner schenkt.

Drei Tage sind zu schnell vorbei. Andi und ich nehmen uns vor, dieses Land zu einem späteren Zeitpunkt ausgiebig zu bereisen, inkl. dem vor Massawa liegendem unberührtem Riff. Gegen Wind und Wellen Das Rote Meer ist bei Seglern seit Urzeiten sehr berüchtigt für seinen fast täglich streng blasenden Nordwind. Wir machen uns aufgrund der Handbücher noch vor, dass doch ab und zu ein Südwind blasen werde. Schnell stellen wir fest, dass wir mit diesen wenigen Stunden Südwind und wenigen Beaufort nicht vorwärts kommen. Die Wettervorhersage erhalten wir über das Internet oder aus den Funkrunden. Wird wenig Wind angesagt, hieven wir sofort den Anker und fahren soweit als möglich nach Norden zu einem der vielen geschützten Ankerplätzen in einsamen Buchten oder im Lee von unberührten Inseln (aber leider mit Plastikflaschen übersäten Stränden) und unberührten Riffen. Unser Motor fährt uns zuverlässig Meile um Meile Richtung Norden. Das laute Gedröhne geht mir zwar oft auf die Nerven, inzwischen hege ich aber schon fast warme Gefühle für diese zuverlässige Maschine. In Khor Nawarat im Süden des Sudans navigieren wir sorgfältig unseren Weg durch die vielen Riffe, vorbei an einsamen Inseln, die von vielen Vögeln bewohnt werden und uns neugierig beobachten. Stolze Ibise, rosafarbene Flamingos und Pelikane zieren die kleinen Inselchen. Vor der einladenden Dünenlandschaft werfen wir den Anker auf sandigen Grund. Ja, solch ein grosser Sandhaufen fehlt eigentlich noch in unserem Garten im Unterbach! Wir kosten diese Sandlandschaft ausgiebig aus, legen Spuren, verstecken uns hinter den Dünen, rollen die Hänge hinunter, sammeln schöne auf grossen Muschelbergen liegende Muscheln (die ja eigentlich Schneckenhäuser sind) und finden ein Skelett von einem Kamel, das wir sozusagen als Puzzle benutzen und versuchen es richtig im Sand „zusammen zu setzen“. Wir sind alleine in dieser wunderbaren Landschaft und beobachten einzig am Morgen eine Kamelkarawane, die am Strand vorbei zieht. Sobald sich der Wind wieder beruhigt hat, fahren wir einige wenige weiter Meilen weiter gegen Norden, bevor wir uns wieder hinter einer kleinen Insel verstecken. Wir sind alle stark erkältet, haben Kopfschmerzen. Andi verbringt seinen Geburtstag in der Koje. Einzig um die Kerzchen auf dem Kuchen auszublasen, schleppt er sich ins Cockpit. Der Wind bläst kalt von Norden und niemand hat Lust in das für unsere Gewohnheit sehr kalte Wasser mit nur 22 Grad Temperatur zu baden oder über das tolle Riff zu schnorcheln.

Vorzeitiges Osterfest
Im Roten Meer Im Süden Sudans liegt die alte Hafenstadt Suakin. Die Bucht ist voll von schicken (Fahrten-)Yachten, die im Hafen von Nizza klein wirken mögen, aber vor dieser einfachen Stadt mit sehr bescheiden lebenden Menschen vom westlichen Luxus zeugen. Esel rennen übermütig springend in den kleinen autofreien Strassen herum, während andere brav die Karren mit ihrem Meister darauf ziehen. Männer beten auf Gebetsteppichen am Pier. Abends sieht man vereinzelt Frauen in farbige Kleider gehüllt abseits vom eigentlichen Treiben am Pier sitzen. Ein einziges Auto steht an Land, sonst scheint die Zeit vor langem stehen geblieben zu sein. Moammed betreut die eintreffenden Yachten. Er kassiert Gebühren, erledigt Administratives, liefert Diesel und nach Bedarf frische Ware vom Gemüsemarkt. Mohammed legt sich bequem in unser Cockpit. Er ist traditionell mit dem weiten, langen, weissen Hemd gekleidet und ist unübersehbar wohlgenährt. Zu unserer Überraschung fragt er uns, welche Gebühren wir bezahlen wollen. Das ist ja ganz was Neues, dass wir aus dem Gebührensalat selber auslesen dürfen! Nach 24 Stunden müssen wir den Hafen wieder verlassen. Wir haben Glück mit dem Wetter und fahren gleich 150 sm (ca. 290 km), um uns vor dem nächsten angesagten strengen Nordwind in Khor Shinab zu verstecken. Durch die Riffpassage sowie einen Kanal zwischen Sandstränden und -bänken hindurch erreichen wir eine Bucht mit smaragdgrünem Wasser von Riffen umsäumt und mit einem hügeligen in allen Brauntönen gehaltenen Panorama. Sofort lassen wir das Dingi ins Wasser und nutzen die Gelegenheit unsere Beine endlich wieder einmal am Sandstrand zu vertreten, zwischen den farbigen Korallenköpfen zu schnorcheln und steigen auf den markanten, steinigen Hügel, wo wir uns mit einem Steinmännchen verewigen. Zurück auf dem Schiff legt der angesagte Starkwind los. Wellen und Strömung verunmöglichen das Herumfahren mit dem Dingi. Wieder sitzen wir auf der Muscat fest. Ich bin mit dem wenigen zur Verfügung stehenden Material und mit meiner Fantasie gefordert, die Kinder sinnvoll zu beschäftigen. Ostern wäre ja eigentlich erst in einer Woche, aber wen stört das hier schon? Aus Käseschachteln, Papier, Wolle und Watte basteln wir kleine Osternestchen und kochen zwanzig Eier, die wir mit Lebensmittelfarbe anmalen. Wie gut, dass ich immer Lebensmittelfarbe an Bord habe um alle möglichen Basteleien, wie z.B. Knete, Körpermalfarbe oder Sand, etc. einzufärben! Am Tag nach der Bastelei verstecke ich die Nestchen mit einem Ei und den letzten Süssigkeiten im Schiff. Zum Frühstück verputzen wir nach der „Eiertütschete“ gleich alle zwanzig Eier!!

Der kalte Nordwind hält tagelang an. Mit der Zeit erlauben wir uns, zwei oder drei Filme im Laufe des Tages anzuschauen. Wir lesen, spielen und lernen. Lässt der Wind ein wenig nach, fährt Andi mit den Kindern für einen Kurzbesuch zu einem der Nachbarschiffe, wo sie jeweils patschnass ankommen. Nach drei Tagen lässt der Wind nach. Wir klettern noch einmal auf die Anhöhe, um unser Steinmännchen zu vergrössern. Nach einem weiteren Tag hat sich die See so beruhigt, dass die Fahrt nach Norden weiter gehen kann.

Ankunft in Ägypten
Schneller als erwartet bläst der Wind wieder mit 15-20 Knoten gegen uns. Morgens und abends halten wir Funkkontakt mit anderen Yachten, denen es nicht besser geht. Die See wird unangenehm. Unser Dieselverbrauch ist enorm. Die Strecke von nur 100 Seemeilen bis zur nächsten Tankgelegenheit in Südägypten zieht sich mit unserer Geschwindigkeit von nur 2-4 Knoten gegen Wind und Wellen in die Länge! Wie schön wäre es, wieder einmal Segel zu setzen und ohne Motorgebrumm vorwärts zu kommen! Kaum gedacht, erfüllt sich mein Wunsch nach Stille schneller als erwartet früh am nächsten Morgen. Der Motor setzt aus! Der Diesel ist zu knapp, um bei dieser ruppigen See konstant den Motor zu füttern! Wir setzen sofort den Trecker (Vorsegel) und segeln mit idealen Segelbedingungen flott und ruhig dahin. Leider zurück nach Süden. Zum Glück hat Andi immer mehrere mögliche Ankerplätze und die entsprechenden Wegpunkte auf dem GPS abgespeichert. Dadurch können wir gleich einen guten Ankerplatz 15 sm entfernt ansteuern. Metergenau steuern wir zwischen Gischt aufspritzenden Riffen hindurch. Andi navigiert mit GPS, Computerkarte, Feldstecher und vor allem mit ”Augapfelnavigation”, ich stehe am Steuer und führe die Muscat nach seinen Angaben. Vor einer kleinen Insel bei Hamamat in Südägypten schiessen wir perfekt in den Wind. Andi reisst die Segel runter und wirft von Hand den Anker. Nein also wirklich, beim Segeln wird es fast nie langweilig! Meine Abenteuerlust ist schon längst gesättigt! Ich bin aber mächtig stolz darauf, so ein perfektes Segelmanöver hingelegt zu haben. Schliesslich haben wir ja ein Segelschiff und nicht ein Motorschiff. Willkommen in Ägypten Vor dem Festland liegen mehrere grosse Tauchboote. Andi fährt mit dem Dingi eine ziemliche Strecke zum Festland. Dort wird er von einem sehr jungen Soldat mit Polizeifunktion erwartet. Er freut sich sichtlich darüber, dass sein öder, langweiliger Tag endlich eine Abwechslung erhält! Er verlangt, dass wir die Muscat sofort um die Riffe und Korallenköpfe segeln und zwischen den Tauchbooten vor dem Steg ankern. Nein, ohne Diesel segeln wir nicht durch die schlecht kartographierten Riffe, entgegnet Andi. Er organisiert von einem Tauchboot 20 l Diesel. Zurück auf der Muscat und nach einem warmen Frühstück hievt Andi den Anker von Hand hoch (Die Ankerwinch funktioniert mal wieder nicht). Die Fahrt durch das Riff ist kompliziert und erfordert unsere volle Aufmerksamkeit sowie Peilungen, um die genaue Position für die Richtungsänderungen festzustellen. Andi wirft den Anker zwischen den vielen riesigen Tauchbooten beim Pier.

Der junge Soldat (er heisst Kemal) und sein Kollege lassen sich von einem zu den Tauchbooten gehörenden Dingi mit Fahrer rüber fahren. Er füllt pflichtbewusst sein Formular aus und telefoniert für weitere Anweisungen mehrmals seinem Boss. Er plaudert noch ein wenig herum und erkundigt sich, ob wir nicht jemanden kennen würden, der, oder genauer gesagt, die mit ihm E-Mails austauschen und sich als mögliche Heiratskandidatin eignen würde. Nach seinem Dienst wolle er Englischlehrer werden und ein kleines Haus könne er auch bieten. Allerdings wünsche er sich für die Zukunft zwei oder mehr Ehefrauen. Dies würde er seiner ersten Frau allerdings erst nach der Heirat mitteilen! Morgen früh trifft der Tanklastwagen am Pier ein“, sagt er. „Damit dies so gut klappt, brauche ich noch ein grosszügiges Bakschisch (Trinkgeld) für mich und meinen Freund. Würde es euch zudem etwas ausmachen meinem Freund zwei Biere zu schenken? Gerne würde ich auch noch zwei bis drei englische Bücher haben. Und als Erinnerung an euch für uns je ein Souvenir. Nicht zu vergessen auch das kleine Geschenk für mich, meinen Freund und vielleicht hast du auch etwas für meine Mutter und meine Schwester? Die würden sich sehr freuen!“ Wir erfüllen seine Wünsche gerne, merken aber, dass wir ihn stoppen müssen, denn wer weiss schon wie gross seine Sippe ist? „Übrigens ist es euch strengstens verboten an Land zu kommen“. Schade, von unseren Mitseglern wissen wir, dass sie unweit von uns in verschiedenen Buchten ankern und alle an Land ohne grosse Formalitäten willkommen geheissen worden sind! Leider ist er partout nicht weich zu kriegen, nicht einmal die Kinder dürfen ihre Füsse auf den Sand setzen. Nur Andi erhält von ihm eine Ausnahmebewilligung weil er ja mit den Kanistern den Diesel abholen muss. Wie abgemacht liefert am nächsten Tag ein Tanklastwagen Diesel an die Pier. 200 Liter Diesel füllen wir in Kanister ab und bringen sie auf die Muscat. Weiter können wir trotzdem noch nicht, der kalte Wind bläst zu streng von Norden. Über unseren Funkkontakt hören wir von unseren Freunden, dass auch sie in verschiedenen Buchten Zuflucht gesucht haben, aber alle ohne weiteres an Land dürfen. Ich versuche Kemal zu veranlassen, eine Bewilligung zu einem Landgang zu erreichen. Leider lenkt er nicht ein. Am späten Nachmittag lässt sich Kemal von einem Angestellten eines Tauchbootes wieder auf die Muscat bringen. Andi schläft tief und fest. Kemals Chef wolle wissen, wann wir denn nun wieder abreisen. Ich erkläre ihm, dass wir auf weniger Wind warten und sehr hoffen, am nächsten Tag abreisen zu können. Ihm gefällt es bei uns im Cockpit und er fragt mich viel über unser westliches Leben aus. Ich merke, dass seine Vorstellung davon dem Leben einer lächerlichen „Soap Opera“ aus Amerika gleicht und seine Kenntnisse sich wohl auf den täglichen Fernsehkonsum beschränken. Er ist sehr nett zu unseren Kindern und tätschelt sie immer wieder. Immer öfter streift er dabei „aus Versehen“ meine Knie, Arme und Beine. Ich wechsle meinen Platz, worüber er sich wundert. Gerne möchte er mal meine feinen Kopfhaare anfassen, da er hörte, dass sich westliche Haare wie Seide anfühlen sollen. Nichts da, es reicht mir. Ich weise ihn von Bord. „Es tut mir ja so leid. Auf keinen Fall will ich Dich belästigen und solltest Du Dich noch einmal bedrängt fühlen, wäre das gegen meine Ehre und ich würde sofort von Bord springen!“ versichert das Kamel (ich habe ihn inzwischen umgetauft und kann es einfach nicht ganz richtig aussprechen, sorry Kemal.) Seine ehrenhafte Versicherung hat er bereits wieder vergessen. Wenig später streift er aus Versehen meine Brüste. „Jetzt reicht es! Was würde passieren, wenn Andi Deine Schwester immer wieder anfassen würde?“ „Ich müsste ihre Ehre verteidigen und Andi töten“, prahlt er. „Siehst Du, Du bist ein wirklicher Ehrenmann. Deshalb stehst Du als Mann, Soldat und Polizist zu Deinem Wort und springst jetzt sofort ins Wasser, so wie Du es als Ehrenmann in Deiner Würde vorgeschlagen hattest“ verlange ich. Er nimmt mich erst nicht ernst, ändert aber schnell seine Meinung! Ich bleibe dabei. Er bittet mich, ihn doch einfach im Dingi an Land zu fahren. „Nein, Du bist ohne uns hergekommen und kannst auch ohne uns gehen. Zudem bläst der Wind zu stark und ich als weibliches Wesen, sehe mich technisch ausserstande einen Motor zu bedienen!“ Das entspricht wohl seinem Bild von Frauen und leuchtet ihm ein. Trotzdem springt er nicht, dafür steht er zu meiner Schadenfreude über eine halbe Stunde im strengen Wind auf der Badeplatte und versucht, einen Fahrer von den Tauchbooten her zu pfeifen. Diese haben zwar auf seine Pfiffe ihre Köpfe gehoben, aber auch schnell wieder ohne zu reagieren gesenkt.

Fast drei Tage lang sitzen wir auf der Muscat vor dem Land fest. Endlich können wir die letzten 50 Seemeilen zum neu gebaggerten offiziellen Einklarierungshafen Port Ghalib mit riesigen Hotelanlagen unter den Kiel nehmen. Unsere Vorräte sind fast alle aufgebraucht. Frische Lebensmittel sind längst aufgegessen, der Konservenvorrat auf einzelne Dosen geschrumpft. Mit einiger Fantasie lassen sich aus dem wenigen Grundvorräten wie Reis, Nudeln, Mehl, Fisch, Fertigsaucen, Gewürzen und den letzten Konserven doch noch vollwertige Mahlzeiten auf den Tisch zaubern, aber Reis mögen Yanik und Fabien wohl für längere Zeit nicht mehr essen!

Luxuriöser Hotelkomplex mit Marina mitten in der Wüste
Die restlichen Meilen zum neuen Einklarierungshafen in Port Ghalib (Marsa Alam) schaffen wir im Nu. Endlich haben wir wieder festen Boden unter den Füssen! Wir jubeln und rennen auf dem Pier hin und her. Der Hafenmanager freut sich mit uns und offeriert, den ganzen Papierkram für uns zu erledigen. Er sorgt dafür, dass Muscat nach 15 Minuten mit dem Heck am Pier der grossen Hotelanlage festgemacht ist. Nur drei Meter entfernt vom grossen Swimmingpool, den wir sofort beschlagnahmen! So toll haben wir wohl noch in keinem Hafen gelegen! Die ganze Hotelinfrastruktur steht uns zur Verfügung. Abends schlemmen wir am grossen Hotelbuffet zur Feier unserer Ankunft. Danach vergnügen wir uns mit einer zweistündigen tollen Show für Hotelgäste und dem zu Besuch verweilenden Investor dieser gigantischen Resortanlage mitten in der Wüste. Bauchtänzerinnen, um sich selbst drehende Derwische, geisterhafte antike Gestalt.