Venezuela – ABC Inseln

Reisebericht Trinidad, Venezuela, Bonaire und Curaçao

Und es regnet jeden Tag. Unser Schiff steht zwar im sogenannten Trockendock, aber der Wiesenplatz verwandelt sich zusehends in einen Schlammplatz. Wir haben uns für die kleine Werft entschieden. Die Preise waren überall fast gleich hoch, der Service fast gleich wenig, aber der Swimmingpool gab schliesslich den Ausschlag, bei Peake’s trotz grosser Beliebtheit bei den deutschsprachigen Seglern abzusagen und hier unser Schiff trocken zu legen. Hier gibt es alles, was des Seglers Herz begehrt und mit ein wenig Handel, kommt man auch auf ein vernünftiges Preisniveau. Nach zwei Wochen Überholung lassen wir die Muscat in Wasser gleiten. Wir freuen uns sehr, über unser glänzendes, sauberes, überholtes und repariertes Schiff! Auch als unser endlich funktionierender Generator ein paar Tage später Flammen wirft und der Alternator defekt ist, wir also wieder nach nur zwei Tagen in der Marina auftauchen, tut das unserer guten Laune keinen Abbruch und setzen bei paar Tage später mit neuem Alternator endgültig den Anker in der Bucht. Die ist inzwischen von den Seglern so übervoll, dass es ein Kunststück wird auf 11 Meter genügend Ankerleine zu geben, ohne dass man den Nachbarn nachts gefährdet. Dies obwohl täglich die Termine für Schiffe Trockenlegen ausgebucht sind und viele Segler die Hurrican Saison zu Hause verbringen.

Faszinierende Lederrücken-Schildkröten

Meine Schwester Raquel ist inzwischen in Trinidad für zweimonatige Segelabenteuer eingetroffen. Bevor wir aber weitersegeln, möchten wir uns das wunderbare Erlebnis von eierlegenden Lederrücken-Schildkröten nicht entgehen lassen. So buchen wir ein 4-Bett-Zimmer in einem kleinen Hotel an der Nordküste und fahren mit dem Mietauto los. Eigentlich wäre es distanzmässig ja nicht so weit, aber es zieht sich doch sehr, da wir die ganze Insel durchqueren müssen, um an der Ostküste hochzufahren und an der Nordküste wieder nach Osten zurück. Kurz nach unserem Ziel ist auch das Strassenende. Wir sind sehr positiv überrascht. Das kleine Hotel entpuppt sich als sehr sympathische Anlage mit rustikalem, an die Provence erinnerndem Dekor. Eine einheimische Künstlerin stellt Ihre Werke in der Reception aus, die Küche bietet feinste Menus nach europäischem Geschmack an und unser Zimmer entpuppt sich als ein geschmacksvoll eingerichtetes 7-Bett Zimmer, auch mit kleinen Kunstwerken versehen. So geniessen wir den vielen Platz, wie auch das reichliche Wasser in der Dusche.

Um 22.00 Uhr geht es los. Keine Fotos bitte, damit die Schildkröten in Ruhe arbeiten können. Ein Führer begleitet uns an den Sandstrand. Es ist unglaublich, da liegen im Mondschein Schildkröten mit einem metergrossen Panzer und schaufeln mit den Vorderbeinen (oder sagt man wohl Flossen?) ein etwa 1 Meter tiefes Loch in das sie ca. 150 grosse und kleine Eier legen. Während der Eierablage fallen die Schildkröten in Trance, in dieser Zeit darf man sie berühren. Aus den grossen Eiern schlüpfen in einem Monat die noch weichen, schutzlosen Baby-Schildkrötchen. Jede Schildkröte kommt ca. 8 Mal in der Saison zur Eierablage, die von April bis August dauert. Nach der Eierablage wiegt das Weibchen nur noch die Hälfte ihres Gewichtes, das dennoch stattliche 450 kg sei.

Plötzlich bewegt sich unter unseren Füssen der Sand! Kleine Schildkröten krabbeln überall herum. Wir sammeln sie vorsichtig ein und bringen sie zum Meer. Macht es gut. Niemand wisse, wo sie die nächsten 25 Jahren verbringen werden (da stand zwar im Reiseführer in Kanada?), nur jede Tausendste komme nach diesen 25 Jahren genau an ihren Geburtsstrand zurück! Die Männchen würden nicht mehr gesichtet. Natürlich sind die Schildkröten auch in Trinidad geschützt, die Strände werden von Freiwilligen während der Legezeit überwacht, da die Lederrücken-Schildkröten als Delikatesse gelten (wie übrigens auch Leguane)!

Am nächsten Morgen stehen wir bei Tagesanbruch um 06.00 Uhr auf. Immer noch sind einige Schildkröten am Löcher schaufeln und Eier legen. Jetzt dürfen wir nach Lust und Laune fotografieren. Schwarze Fregattvögel warten auf die kleinen, ausschlüpfenden Schildkröten, doch wir sind schneller und tragen sie schnell ins Meer (wo sie wahrscheinlich alle von wartenden Fischen gefressen wurden).

Baumbruch

Noch lange könnten wir in Trinidad bleiben, doch wir möchten mit Raquel in den noch verbleibenden Wochen einige der venezolanischen Inseln erforschen. Inzwischen zieht eine Tropical-Wave nach der anderen über die Insel, d.h. meist heftiger Regen. Wieviel Wasser in nur einem zehnminütigem Regenguss herunterfällt, sahen wir in Port-of-Spain. Einen halben Meter hoch stand das Wasser in der Strasse, an ein Uberqueren war nicht mehr zu denken, sofern man nicht das Risiko im Strom in die braune Brühe hinein zu fallen auf sich nehmen will. Eigentlich waren wir ja in Eile, aber wie man weiss, ist die Karibik sowieso ein guter Platz sich in Geduld zu üben.

Bevor wir Richtung Venezuela 150 Seemeilen los segeln, lassen wir uns vom Meteorologen persönlich beraten. Seine Vorhersage stimmt mit unserem Schluss aus dem Wetterfax, den wir direkt auf unserem Schiff empfangen, überein: 15 bis 20 Knoten Wind aus Südost. Die nächste Wave wird erst in zwei Tagen erwartet, bis dahin sind wir längst auf den Inseln Los Testigos. Also Segel hoch und los geht es am Montag Abend. Eine wunderbare, helle Nacht mit erst rumpligem Wellengang, später aber ruhigem, gleichmässigen Schaukeln macht das Segeln zum Genuss. Gegen Morgen fängt es an wie aus Kübeln zu giessen. Die Sicht ist auf wenige Meter beschränkt. Ich sitzte wie ein nasser Pudel im Cockpit und beobachte die Anzeigen. Der Wind frischt auf 25 Knoten auf. Wir haben ein Reff drin. Das ist ok.

Um 09.00 Uhr beisst ein grosser Fisch an. Es giesst wieder in Strömen und ich beschliesse kurz mit Einholen zu warten. Der Fisch soll ja auch müde werden. Plötzlich Ruhe, mit Ärger stelle ich fest, dass die ganze Leine sich von der Angelrolle abgerollt hatte, aber der Knoten am Ende nichts taugte und dieser wunderbare Fisch mit der ganzen Leine und Köder weg ist. Eine halbe Stunde später hole ich aber einen kleinen Thunfisch mit einer einfachen Leine und Tintenfischköder ein.

Gegen 10.30 sind wir nur noch ca. 20 Seemeilen vor den Testigos. Der Wind bläst böenartig bis auf 40 Knoten, Muscat segelt sehr ruhig mit 8 Knoten vor dem Wind. Ich freue mich, dass es so gut läuft. Doch rufe ich Andi hoch, um noch mehr zu reffen. Während Andi sich das Regenzeug und Schwimmweste anzieht, sehe ich bange auf der Windanzeige 55 Knoten Wind!! Es wird mir mulmig. Wir gleiten mit 13 Knoten ruhig durch das Wasser, ein neuer Rekord! Endlich ist Andi oben. Der Wind ist wieder auf braven 25 bis 30 Knoten. Trotzdem wollen wir reffen. In diesem Augenblick drückt uns eine grosse Welle seitlich aus dem Ruder. Der Autopilot fällt aus und wir krängen sehr stark. Ich liege auf den Knien und klammere mich an das Steuer. Es scheppert und knallt. Hoffentlich passiert den Kindern und Raquel nichts! Muscat richtet sich auf und schiesst durch den Wind, keine Chance, das auszukorrigieren. Der mit dem Bullenstander backbord gesicherte Baum knallt nach steuerbord. Der Spuk scheint vorbei zu sein, wir stehen wieder normal, meine Knie zittern. Der Baum ist zerbrochen die Segel schlagen im Wind!! Andi sichert sich mit der Lifeline und beginnt das Segel und die zwei Reste unseres Baumes zu sichern.

Raquel erscheint in der Luke der Achterkoje und erkundigt sich nach dem Vorfall. Es sind alle unverletzt, ich ordne an Schwimmwesten anzuziehen und in den Kojen zu bleiben. Wenig später sitzen Andi und ich absolut frustriert still im Cockpit. Viele Gedanken gehen uns durch den Kopf, Zweifel an unserer Reise, am Segeln, am Können, wie soll es weiter gehen??? Der Tür beim Niedergang geht auf, Raquel sagt dreimal etwas, was ich nicht verstehe, die Tür schliesst sich wieder. Ich gucke Andi an: „Sie sagte glaube ich, wir könnten uns auch mal melden, dass sie wisse, dass wir noch da seien.“ Recht hat sie, wie geht es eigentlich unten? Fabien schläft wie ein Engel und weiss von nichts. Raquel und Yanik sind sehr erschrocken in Raquels Koje. Das Schiffsinnere gleicht einem Schlachtfeld, überall liegen Scherben, alle Kästen sind offen und ausgeleert. Noch nie hatten unsere Kästen bei Schräglage dem Druck nachgegen, nicht einmal auf dem Atlantik!

1 ½ Stunden später setzen wir Anker in der geschützten Bucht auf den Testigos. Wir werden von freundlichen Fischern begrüsst, die uns gegen drei Bier 2 grosse Lobster tauschen. Darüber freuen wir uns wirklich sehr und geniessen mit dem Nachbarschiff einen guten Apero, den wir ja auch wirklich alle verdient hatten.

Glossar:
– Steuerbord in Fahrrichtung rechts
– Backbord in Fahrrichtung links
– Bullenstander Leine die den Baum vor einem unfreiwilligen Seitenwechsel sichert
– Lifeline Am Deck befestigte Leine, an der wir uns bei Arbeiten auf dem Deck sichern